Samstag, 25. April 2020

Ob ich es wage, hier zu veröffentlichen?

Ein Artikel und in jedem Satz WAHR. Und ich kann jede Menge darauf setzen. Es ist zT. unglaublich, was wir Lehrer so mit uns machen lassen.

Gestern gab es eine offizielle Schulveranstaltung zum Namenstag der Schule. Vorab wurde unter den Kollegen gesammelt, um Getränke anbieten zu können. Die Schüler gestalteten ein grandioses Kulturprogramm. Die Schulleiterin saß im Publikum und sagte: Nichts! Kein Danke an die Schüler, keinen Glückwunsch an die Kollegin, die es organisiert hat, keine Begrüßung der geladenen Gäste.... Lehrer haben Kuchen gebacken, um die Gäste zu bewirten. Es war ein berührender Tag!

Gesamtelternkonferenz: Unsere Schulleiterin lobt das Kulturprogramm von gestern vor den Eltern.

Corona-Time: Werden wir schließen? Die Schulleiterin meint gegenüber den Eltern, alle Kollegen könnten Aufgaben über WebUntis verteilen. Am Montag soll es in der Gesamtkonferenz darum gehen. Ob diese Versammlung tatsächlich noch stattfinden wird? Im Moment ändert sich alles im Minutentakt.

Montag: Schulschließung ab Dienstag. Auf der Suche nach dem passenden Tool, was uns durch die nächsten Wochen begleitet. Oh wie spannend. Was für eine Gelegenheit, auszuprobieren, was mit den IPads noch alles so geht. Bei aller Sorge um die Gesundheit, freue mich über diese ungewöhnliche Gelegenheit.

Mittwoch: Alle waren anwesend. Beim zweiten Online-Deutschunterricht war die gesamte Klasse da. Natürlich ging es chaotisch zu. Das liegt an mir, aber so ist es eben. Ich glaube, die Kids mögen es auch ein bisschen. Witzig ist, wie sie helfend eingreifen, wieviel Geduld sie haben, wenn die P. mal wieder etwas länger braucht.
Gestern ging es um Sachtexte. Bis wir anfangen konnten-oh man. Erst warten bis der letzte Online ist, dann Bildschirmfreigabe und dann, mitten im Unterricht, fiel bei mir der Ton aus. Pause. Nach der Pause noch 12/21 Anwesende. Hmmm. Mir fällt auf, wie anstrengend das ist, online zu unterrichten. Nach 90 min. fühle ich mich als hätte ich 4 Blöcke gegeben. Wow. Geht es den Kids genauso?
Anschließend habe ich mich noch online mit A. getroffen. Sie war am Montag zusammen gebrochen, BEVOR sie ihre Klassenarbeit zurück bekommen hatte. Merkwürdig ist das schon. Meiner vorigen Klasse musste man ständig Druck machen, damit sie überhaupt ein wenig Motivation aufbauen, sich um ihre Abschlüsse zu schehren. Diese hier haben unglaublichen Druck, obwohl der gar nicht von außen kommt. Mit Ausnahme von Ls Eltern, baut niemand Druck auf. Sie könnten ganz entspannt lernen. Tun sie aber nicht. Sie haben Versagensängste, Leistungsdruck und ackern bis zum Umfallen. Wie oft habe ich in der 10. bis nachts um 2 gelernt? Ich habe null Erinnerung an solche Situationen. Bis früh um 4 einen spannenden Krimi gelesen- ja- daran erinnere ich mich.

Freitag: Im Online durchgeführten Klassenrat wurde heute beschlossen, dass man sich wochentags täglich online um 10.30 Uhr treffen wird. Mo, Di und Fr ist verpflichtend mit mir, weil wir da ohnehin Unterricht hätten. Mi und Do wäre freiwillig. Es wird immer ein Schüler eine Einladung in Telegram posten. Man arbeitet gemeinsam und wird versuchen, Lehrer einzuladen, die dann auch mal bei einigen Sachen helfen könnten. Respekt. Ich habe gleich Gänsehaut, wenn ich es nochmal nieder schreibe.

Montag: So viele Ideen und ich habe immer noch keine Lösung, wie man im Online-Video-Unterricht ohne Frontalunterricht auskommt. Zu morgen haben alle Kahoot vorbereitet. Alles scheint individueller zu werden.

Mein 9.November 1989

Die Wende? Habe ich verschlafen!
Es ist wahr. Ich habe die Wende verpasst. Die entscheidenden Minuten sah ich weder im
Fernsehen, habe ich nicht im Radio gehört, noch hat mich jemand angerufen, an die Tür
geklopft, auf dem Schulweg angesprochen oder irgendwie vorgewarnt.
Der Tag, der anders war.
Am 9. November hatte meine inzwischen lange verstorbene Großmutter Geburtstag.
1989 hatte sie in eine kleine Gaststätte in der Nähe ihres Pflegeheims eingeladen. Meine
Kinder: 1,5 und 4 Jahre alt, fuhren beim Spazierengehen auf ihrem Schoß im Rollstuhl mit,
tobten den halben Tag durch die Gegend oder mit Papa auf dem Spielplatz in der Nähe. Am
Abend waren sie entsprechend quengelig und unglaublich müde. Wir mussten noch das
bestellte Abendbrot aushalten und wussten: Am nächsten Tag muss Mama zur Schule.
Endlich im Trabbi gab es noch ein paar Schlaflieder von der Kassette und dann waren die
beiden auch ziemlich schnell auf der Rückbank eingeschlafen. Das Radio blieb aus, damit sie
nicht wach wurden. Zuhause hieß es für alle nur noch: Ab ins Bett. Wir schliefen völlig
erschöpft ein.
Am nächsten Morgen schlich ich mich aus dem Haus und ich fuhr mit dem Fahrrad zur
Schule. Bis dahin wusste und ahnte ich nichts.
Es muss so kurz vor 8 gewesen sein.
Auf dem Schulhof unglaubliche Unruhe.
Viele Grüppchen standen zusammen.
Als ich mein Fahrrad anschließen ging, klingelte es zum Reingehen. Ich war, wie immer spät
dran. Husch in meinen Klassenraum. Schön, den Morgen in der eigenen Klasse zu beginnen.
André, der Vorlauteste, begrüßte mich: „Na, sind Sie auch schon wieder da?“ Alle sprachen
durcheinander, ich verstand nichts.
Dann nahm ich (wie heute noch, wenn ich zuhören möchte) Platz auf dem Lehrertisch und
bat die Schüler, mir der Reihe nach zu erzählen, was passiert sei.
Was ich hörte, konnte ich einfach nicht glauben. Nicht erster April oder versteckte Kamera?
Meine müden Achtklässler berichteten mir, dass sie noch in der Nacht ihre ehemalige
Mitschülerin in Westberlin besucht hätten. Sie packten Schokolade und Bonbons aus, die sie
von Verwandten bekommen hatten und .... das Allererstaunlichste: Sie waren pünktlich zum
Unterrichtsbeginn da!
Dass ich dann mit meinen 25 Lenzen, auf meinem Lehrertisch sitzend, versuchte, ihnen das
madig zu machen; versuchte die ungeheuren (negativen) Konsequenzen mit ihnen zu
analysieren, ist mir heute noch unglaublich unangenehm.
Wenn ich an diese Klasse zurückdenke, verbinde ich mit ihnen so viele schöne und
interessante Erinnerungen, so tolle Erfahrungen, aber auch diesen peinlichsten Moment
meines (über) 30-jährigen Lehrerdaseins.

Kommentare von den damals anwesenden Schülern:
Nancy
Warum peinlich? Weil du da warst? 😂 und wir auch. Während ein nicht unerheblicher Teil
der Lehrer und Schüler dem Unterricht ferngeblieben ist. Ich hatte Angst, dass ich einige
meiner Freunde nicht mehr wiedersehe. So richtig greifen konnte ich das alles jedenfalls
nicht.
Torsten
Oh nein, da haben so einige gefehlt! Meine Mutter sagte noch zu mir. Du gehst auf jeden Fall
in die Schule und nach Schulschluss gehen wir rüber. Ich hab dann meiner Mutter danach
gesagt, dass wir uns das hätten sparen können 😎
Ich weiß noch, dass unser Sportlehrer über Ungarn rüber ist.
Angela
Ja, klar erinnere ich mich! Ich glaube, wir beide waren die einzigen, die in der Nacht nicht im
'Westen' waren und überlegt haben, ob die anderen alle spinnen! 😉
André
Ja, dass ich in der Schule war, kann ich mich erinnern. Mehr weiß ich auch nicht mehr.

Corona

Hunderte hochintelligente Lehrer versenden massenweise Aufgaben, die ihnen die Schüler "irgendwie" zurück senden sollen. Wenn ich dann frage, ob sie auch darauf vorbereitet sind, dass sie dann bei 200 Schülern pro Woche in drei Wochen 600 Arbeiten auf dem Tisch haben, schauen sie mich völlig entsetzt an. 600 Korrekturen von zT. ziemlich umfangreichen Aufgaben, die sie am Ende zwar korrigieren, aber nicht bewerten dürfen, natürlich zusätzlich zu VERA8 und VorMSA und diversen Klausuren, die ohnehin noch Stapel auf dem Schreibtisch bilden.

PS: Kollegen berichten von 100 Mail/Tag!

Donnerstag, 17. Juli 2014

Chancen bearbeitet

Jeder hat eine zweite Chance verdient.
Benötigt jemand eine dritte Chance, hat der Pädagoge vorher nicht gut geplant.
Das kommt vor.
Gibt man aber jemandem,
ohne dass er Vorleistungen erbringt,
eine vierte Chance,
hat die Pädagogik völlig versagt.

Eine wahre Geschichte. Die erste große Liebe ist immer etwas ganz besonderes, was man nie vergisst.

Ich war in der 6. Klasse, als er in unser Dorf zog. Von meinem Fenster aus konnte ich seine Wohnung sehen. Schon am ersten Tag, den der schüchterne unbeholfene und schlacksige Junge in meine Klasse ging, schlug mein Herz schneller. Wenn sein über die Schülergesichter streifender Blick meine Augen trafen, zog ein roter Schauer über meine Wangen.

Zettelschreibend, schmachtend und schwer an permanentem Liebeskummer leidend, schaffte ich die 6. Klasse. Mein Zeugnis war noch nie so schlecht.

Anlässlich meines 13. Geburtstages durfte ich alle Mitschüler einladen. Wir spielten Flaschen drehen und Kirschen kosten. Dabei bekam ich mein erstes Küsschen und tagelang war ich überglücklich. Ich saß auf dem Fensterbrett unser Küche im 3. Stock, weil man von dort so gut in die Wohnung seiner Eltern schauen konnte. Heute würde man sagen, ich war ein Stalker. War er draußen zu sehen, warf ich die Jacke über und ging spazieren, hing in der Schule sein Anorak neben meiner Jacke, war das so gut wie eine Liebeserklärung. Ich scharwenzelte um ihn herum, schrieb Liebesbriefchen und tat alles, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen.

Eines Tages erhielt ich in der Schule ein Zettelchen, das schon durch viele Hände gegangen war. Da stand, dass er für eine Beziehung noch nicht reif sei und sich noch nicht binden wollte.
2 Jahre meines jungen Lebens war ich immer wieder ermutigt und gedehmütigt worden. Nun fühlte ich mich ungeliebt und hässlich, war verletzt und gekränkt. Meine Eltern verstanden mich natürlich nicht mehr und insgesamt war ich nur noch unglücklich.

Kurz nach diesem Zettelchen wechselte ich die Schule und lernte einen jungen Mann kennen, der in allem das Gegenteil dieses Schlacks war. Kräftige Hände, die zupacken konnten, die mich trugen, mich wirklich lieb hatten.
Sie konnten die Verletzung überdecken, heilen konnten sie nicht. Das schwer angeschlagene kleine Selbstbewusstsein erholte sich nur langsam von dieser Niederlage.
Oft dachte ich zurück, schaute peinlich berührt meine alten Tagebücher an und verliebte mich eines Tages neu. Heiratete sogar.

Auf dem Weihnachtsmarkt. Ungefähr 6 Jahre waren vergangen. Mein Ehemann und ich schlenderten über den Markt, schauten hier und da. Plötzlich sah ich IHN. Er trug Uniform, war immer noch genauso schlacksig, groß und unbeholfen und er roch auch immer noch genau so gut wie damals.

Wir sprachen ganz kurz miteinander. Mein Mann hielt sich im Hintergrund.
Der kleine Mann in meinem Bauch trat von innen und ließ mir kaum Zeit festzustellen, dass ES gar nicht mehr weh tat.
Es war nur ein halber Gedanke, nicht wichtig mehr. Mein Mann nahm mich in den Arm, schob die Hand auf den runden Bauch unter meinem weiten Mantel und wir gingen gemeinsam und glücklich nach Hause in unsere gemeinsame Wohnung.

Einige Wochen später, die Geburt meines ältesten Sohnes stand kurz bevor, brachte mir meine Mutter einen geheimnisvollen Brief - von Ihm.
Er schrieb, wie leid ihm heute täte, was er damals alles gesagt und geschrieben habe und ob wir es nicht noch einmal versuchen wollten. Sogar ein Treffen schlug er vor.

Stolz schrieb eine glückliche junge Mutter und Ehefrau ihre Antwort und legte ein Foto ihres erstgeborenen Kindes mit in den Brief.

Ich habe nie wieder von ihm gehört.

Mittwoch, 4. März 2009

Eine wahre Begebenheit

Diese Geschichte erzähle ich seit vielen Jahren meinen Kindern und meinen Schülern. Sicher habe ich sie selbst irgendwann einmal erzählt bekommen.

Zum ersten Mal lade ich dich ein, mit mir zu gehen, zu meinem besten Freund.
Hast du auch so einen? Er hilft immer. Bin ich noch so verzweifelt, weiß ich mal gar nicht mehr weiter. Er ist immer für mich da.
Manchmal, ganz selten, bleibe ich länger bei ihm, aber meine regelmäßigen Besuche dauern nur Sekunden und sind mir doch so wertvoll.
Du bist neugierig geworden? Dann komm.
Wir laufen den Burgberg hinan. Das alte Pflaster geht sich etwas beschwerlich, aber du wirst sehen. Es lohnt sich. Große Bäume am Wegrand breiten ihre starken Zweige schützend über uns.
Schau nur, die alte Burg erhebt sich weit über das Land. Heute ist ein Fest. Altertümliche Musik von schönem Klang liegt in der Luft. Menschen in wundersamer Kleidung unterhalten sich fröhlich.
Sieh nur, wie knorrig die alten Äste dieses Baumes über der bequemen Bank hängen. Hier sitze ich gerne bei diesem schönen Wetter und schaue über das weite Land.
Aber komm, ich wollte dir ja jemanden vorstellen:
Kennst du diese Situationen in einer Klassenarbeit oder einem Test: Du hast gut gelernt und gestern wusstest du auch noch alles, aber heute: Weg- alles einfach vergessen.
Früher passierte mir so etwas oft. Heute habe ich einen Hüter meiner Gedanken. Meinen Freund.
Schau nur, hier die Tür im Baum. Sie öffnet sich leise, wenn man sie berührt. Eine lange bequeme Treppe führt hinunter, unendlich lang. Sie ist sanft beleuchtet und wenn du sie hinunter gehst, fühlst du dich ganz sicher und wohl. Langsam steigst du die Stufen hinab.
Es geht immer tiefer hinab und immer tiefer. Gerade, als du beschließt, dich etwas auszuruhen, erblickst du am Ende der Treppe ein gemütliches Zimmer.
Es ist ganz geschmackvoll eingerichtet. so, wie es dir am besten gefällt.
Der alte weise Mann kommt herein. Du kennst ihn gut und bist glücklich ihn zu sehen. Ganz vertraut seid ihr. Gemütlich lässt du dich nieder. Schon bringt er dir eine Tasse deines Lieblingsgetränkes und dein Freund setzt sich dir gegenüber.
Nun hast du alle Zeit der Welt. Lehn dich zurück. Mach es dir bequem. Er ist nur für dich da, hört dir zu, wenn du Sorgen hast, tröstet dich und bewahrt all dein Wissen für dich auf. Du kannst ihn alles fragen, was du je gelernt hast. Er erklärt dir, was du noch nicht ganz verstanden hast mit ruhiger angenehmer Stimme und erinnert dich an das, was du nicht vergessen wolltest. Du fühlst dich ganz wohl.
Wenn es an der Zeit ist, stehst du auf und verabschiedest dich von dem alten weisen Mann. Er sagt dir, dass du jederzeit wieder kommen darfst. Du bist hier immer willkommen.
Dann steigst du ganz leicht die Treppe wieder hinauf, trittst durch die Tür aus dem Baum heraus und ich erwarte dich schon auf der Bank mit dem schönen Ausblick. Du kannst jetzt noch ein wenig neben mir Platz nehmen, wenn du etwas verschnaufen möchtest. Vielleicht möchtest du aber auch gleich leichten Fußes den Berg hinabstürmen und an dein Tagesgeschäft gehen. Es wird ein erfolgreicher Tag. Ich schaue dir nach und weiß sicher, dass du wieder kommen wirst.
Berlin 2009

Für Maryse

Eine Mail aus Frankreich:

Karlsbrücke in Prag
Du stehst auf der Karlsbrücke im Winter und schaust zum Schloss hinauf. Was fällt dir ein?

Was fällt dir ein, Maryse? *lach* Mich einfach einzuspannen. Bestimmt habe ich demnächst auch eine schöne Aufgabe für dich. Ich bin schon ganz gespannt, wie du dann damit umgehst.

Ein Sonntag im Februar. Mein Sohn hat Geburtstag. Er ist 22 Jahre alt geworden. Heute. Und ich stehe auf der Karlsbrücke in Prag. Zwei Herzen ach in meiner mütterlichen Brust.

Es ist kalt. Eisiger Wind trifft auf meine müde Haut. Eine anstrengende kreative und schöne Woche liegt endlich hinter mir.
Sehnsucht macht sich in meinem Herzen breit. Ich möchte schnell nach Hause, möchte gratulieren, Geburtstag feiern, Freunde und Verwandte treffen, die es sich gerade in meinem Wohnzimmer zuhause gemütlich machen und den leckeren Kuchen essen, den der Älteste sicher für seinen kleinen Bruder gebacken hat.
Ich möchte aber auch durch Prag flanieren, das goldene Gässchen zum ersten Mal im Winter anschauen, über das geschichtsträchtige Kopfsteinpflaster laufen, wie schon so oft.

Meine Augen finden das Geburtshaus von Franz Kafka. Gerade habe ich noch mit Madame Happe darüber gesprochen. Ich bin bestimmt schon 15 Mal in Prag gewesen, aber ich war noch nie im Kafkahaus. Immer verliebe ich mich in die Prager Architektur und mag gar nicht davon lassen.
Die Trennung ist so schwer.
Madame Happe. Wenn meine Mutter „Madame“ zu mir sagte, war das eine Ermahnung. Madame (ich) hatte etwas ausgefressen. Ob es in Frankreich auch deutsche Worte gibt, die dort eine völlig neue Bedeutung bekommen haben?

Als ich das letzte Mal auf dieser Brücke stand, war es ein lauer Septemberabend, alles erstrahlte im goldenen Schein der untergehenden Sonne. Gerade eben spiegelte sie sich noch rot im Wasser der Moldau.
Genau auf der Mitte der Brücke war ich verabredet. Mein Mann begleitete mich.
Zum ersten Mal würde ich die Leute kennen lernen, mit denen ich mich allabendlich im Chat und in Foren traf. Männer aus ganz Deutschland, die alle genauso neugierig auf mich waren, wie ich auf sie.
Wir schreiben uns zum Teil schon zwei Jahre und haben uns noch nie persönlich gesehen. Manche kenne ich vom Foto.
Ich würde kein Foto von mir veröffentlichen. Ich war unter einem Pseudonym hier. Ich wollte jeden Zusammenhang mit der Lehrerin, die heute hier auf der Karlsbrücke steht, vermeiden. Es musste niemand wissen, dass ich Lehrerin bin. Wenn ich gefragt wurde, sagte ich, ich sei Beamte. Das ist schlimm genug.
Lehrer hatten gerade einen sehr schweren Stand in Deutschland. Ein sehr bedeutender deutscher Politiker hatte uns als faule Säcke bezeichnet.
Ich weiß, dass ich eine gute Lehrerin bin. Nie war ich zu faul, mich ordentlich um meine Schüler zu kümmern, habe oft mehr gemacht, als das, wofür ich bezahlt werde und trotzdem schäme ich mich: Für die wenigen Lehrer, die schlecht arbeiten; für diesen deutschen Kanzler.

Es war eine ganz herzliche Begegnung mit den 10 fremden Männern auf der Karlsbrücke. Stundenlang haben wir in einer viel zu lauten Eckkneipe wunderbares tschechisches Bier getrunken, gut gegessen und gefachsimpelt. Über Fische. Diskusfische. Unser gemeinsames Hobby.
Was dachtest du denn?

Irgendeiner hat auch heraus bekommen, dass ich Lehrerin bin. Später sagte er zu mir:„Lehrerin in der heutigen Zeit? Ich möchte nicht mit dir tauschen. Aber Schüler bei dir wäre ich gerne gewesen.“

Ein wahrhaft goldener Herbst in einer goldenen Stadt.

Gemeinsam mit meinem Mann verlasse ich die eisige Brücke, steige ins Auto und fahre zu meinem Geburtstagskind. Im Kafkahaus war ich wieder nicht. Vielleicht beim nächsten Mal.
Ich bin ganz sicher, dass ich in diese Stadt noch sehr oft zurückkehre und irgendwann werde ich mit Maryse den Kafka besuchen gehen und wir werden uns an diesen kalten Tag erinnern…

Berlin 2009

Freitag, 23. Januar 2009

Der Apfel

Ein Mann, Vater, sitzt kauend mit Jacke und Basecap gewandet in der Schulbank.
Elternversammlung.
Laut platzen die rosa Blasen.
Schmatzende Geräusche.
Schillernde Kunstwerke vor seinem unrasierten Gesicht...

Ein junger Mann, Sohn, sitzt kauend mit Jacke und Basecap gewandet in der Schulbank.
Deutschunterricht.
Laut platzen die rosa Blasen.
Schmatzende Geräusche.
Schillernde Kunstwerke vor seinem pickligen Gesicht...

Wenigstens kümmern sich die Eltern noch, denke ich, seufzend.

Eine gute Tat (fiktiv)

Ein Schüler nennt mich:
"Ehj Alter..."
Ich bin eine Frau und schweige.
Der nächste sagt:
"Blöde Kuh!"
Ich bin Lehrerin und schweige.
Ein dritter sagt zu mir:
"Verfickte Schule, du kannst mich mal..."
Ich bin die Lehrerin und schweige.
Kommt einer zu mir und sagt:
"Ich bring dich um!"
Ich bin seine Lehrerin und schweige.
Der nächste tuts.

Ich war seine Lehrerin und schweige.
Für immer.

Lieber Leser! Bitte bedenke, es handelt sich um Literatur. Die Wirklichkeit ist eine andere! Hoffentlich!

schuldig?

Die Tatsache (irgendwo in Berlin):
Ein kleiner Junge in einem Einkaufswagen tritt mit seinen Füßen nach mir.
Ich weiche aus.
Er nennt mich: "Dumme Kuh".
Laut und deutlich.
Das erregt Aufmerksamkeit.
Ich bin empört und schweige.
Die Mutter wendet sich mit einem kurzen Blick an ihren Sohn: "Du sollst doch nicht IMMER "Dumme Kuh" zu Fremden sagen!"

Variation1 (Berlin- Mitte)
Ein kleiner Junge in einem Einkaufswagen tritt mit seinen Füßen nach mir.
Ich weiche aus.
Er nennt mich: "Dumme Kuh".
Laut und deutlich.
Das erregt Aufmerksamkeit.
Ich wende mich an das Kind und erkläre ihm, dass man so nicht mit anderen Menschen redet.
Die Mutter schaut hoch: " Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Gören!"
Die Umstehenden schütteln den Kopf.
Meinen sie etwa mich?

Variation2(Berlin, Kollwitzplatz)
Ein kleiner Junge in einem Einkaufswagen tritt mit seinen Füßen nach mir.
Ich weiche aus.
Er nennt mich: "Dumme Kuh".
Laut und deutlich.
Das erregt Aufmerksamkeit.
Die Mutter unterbricht ihre Tätigkeit, schaut mich mitleidig an und entschuldigt sich in aller Form.
Anschließend dreht sie den Wagen mit Ihrem Sohn zu sich und lenkt ihn mit einer Süßigkeit ab.
Belohnung einer guten Tat.

Variation3 (?)
Ein kleiner Junge in einem Einkaufswagen tritt mit seinen Füßen nach mir.
Ich weiche aus.
Er nennt mich: "Dumme Kuh".
Laut und deutlich.
Das erregt Aufmerksamkeit.
Die Mutter unterbricht ihre Tätigkeit, schaut mich mitleidig an und entschuldigt sich in aller Form.
Anschließend dreht sie den Wagen mit Ihrem Sohn zu sich und sagt deutlich zu ihm: "Darüber reden wir in Ruhe zu Hause!"
Ich bin beeindruckt.

Chancengleichheit

Jeder hat eine zweite Chance verdient.
Benötigt er eine dritte Chance, hat der Pädagoge versagt. Sowas kommt vor.
Bekommt er aber, ohne Vorleistung, die vierte Chance angeboten, hat der Pädagoge seine Zuständigkeit verloren.

Donnerstag, 14. Juni 2007

Victoria1 (Mai 2005)

Ehe
Viktoria ist dick und rund. Das ein oder andere Wehweh plagt sie. Die Kinder sind aus dem Haus. Seit ein paar Tagen der Mann auch.
Sie hat alles, was man sich so leisten möchte:
Eine geräumige Wohnung; eine Arbeit, die ihr Freude bereitet; ein kleines hübsches Auto; einen Camper, den sie im Sommer auf das schönste Fleckchen Erde ihrer kleinen Welt stellt, um dort die freien Tage zu verbringen, bis das verdiente Kleingeld für einen nächsten Amerika- Trip reicht. So könnte sie dick, rund und glücklich sein.
Dick und rund hatte sie sich angefuttert, als sie noch täglich mit einem warmen, sehr späten, reichlichen Abendessen auf ihren Mann gewartet hat. Stundenlang hat sie eingekauft, in der Küche gestanden und dann gewartet, vor dem Fernseher, dabei Kreuzworträtsel lösend oder am Computer spielend. Wenn sein Auto dann vorfuhr, war sie so erschöpft vom langen Warten, dass es ihr Mühe bereitete, dieses großzügige Mahl auf den Tisch zu bringen. So sehr, dass sie ihm ihre Vorwürfe nicht mehr ersparen konnte. Bevor beide zu Bett gingen- erschöpft vom Tagwerk- besprachen sie schnell Alltägliches: Formulare wurden gefüllt, Termine abgestimmt.
Glücklich ging Viktoria zu Bett.
Als er nicht mehr kam, war sie 60. Nun war schnell eingekauft, das kärgliche Mahl zubereitet und verspeist- warum sollte sie jetzt noch fernsehen, rätseln, spielen?
Wenn er mal vorbeischaute- auf der Durchreise seine Post abholte- musste sie ihm ihre Vorwürfe, ihre Zukunftsängste, ihre Verzweiflung entgegen schleudern- bis er ging.

Endlich. Eine neue Aufgabe. Sie telefoniert, spioniert, befragt: Freunde, Bekannte, Kinder, Enkelkinder; auch seine Neue, die scheinbar nie wartet (der Ärmste).
Erzählt allen, was sie über ihn nicht wissen wollen ...
Und versperrt ihm damit den Rückweg! Für immer!

Mittwoch, 13. Juni 2007

Der Titel

spielt weniger auf meinen Namen oder meine Figur an, er steht eher für Ungewöhnliches, Überraschendes, Neues, gänzlich Unerwartetes

Der Titel...

...spielt weniger auf meinen Namen oder meine Figur an, er steht eher für Ungewöhnliches, Überraschendes, Neues, gänzlich Unerwartetes.

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